Elektrotriebwagen
Wechselstromnetz
In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) musste der elektrische Zugbetrieb im mitteldeutschen Wechselstrom-Streckennetz im April 1946 aufgrund der Reparationsforderungen der Sowjets aufgegeben werden. Die Fahrleitungen wurden abgebaut, alles betriebsfähige oder verwertbare Material kurz darauf in die Sowjetunion überführt. Die abtransportierten Trieb-, Steuer- und Beiwagen kamen in den Weiten des riesengroßen Landes (vermutlich) noch als Reisezugwagen zum Einsatz. Auf dem Werkshof des Raw Dessau befanden sich Anfang der 1950er-Jahre lediglich noch die kriegsbeschädigten ET 25 012a, ET 25 012b, ES 25 008 und ET 31 006d,
Ab 1952 begannen bei der DR die Vorbereitungen für den Wiederaufbau des elektrischen Netzes in Mitteldeutschland und dessen sukzessive Erweiterung. Am 1. September 1955 erfolgte der Neustart auf einem ersten Abschnitt zwischen Halle (Saale) Hbf/Gbf und Köthen. Bis Ende 1959 wuchs das elektrische Netz auf 320 Kilometer Strecke an.
Zwischen 1957 und 1959 baute das Raw Dessau aus dem Doppeltriebwagen ET 25 012a + ET 25 012b unter Verwendung des ES 25 008 einen neuen dreiteiligen Zug auf. Dabei wurde der Steuerwagen aufwändig zu einem Mittelwagen (ohne Steuerstand) umgebaut, der zwischen den Triebwagen eingereiht wurde. Bei dem Umbau wurde großer Aufwand betrieben, da er auch Wegbereiter für zwei neue Triebwagengenerationen der DR werden sollte (Projekte ET 26 und ET 27). Die Entwicklungsarbeiten wurden allerdings schon 1959 wieder abgebrochen.
1958 baute das Raw Dessau auch den Mittelwagen ET 31 006d zu einem Steuerwagen für den Wendezugbetrieb mit elektrischen Lokomotiven um. Von 1963 bis 1965 wurde zudem aus Teilen der in der DDR verbliebenen niederländischen Triebwageneinheiten 602, 615 und 628 ein neuer vierteiliger Triebzug gebaut, der als ET 25 201a + ET 25 201 c + ET 25 201d + ET 25 201b bezeichnet wurde (bei dem als Besonderheit der Buchstaben-Suffix direkt hinter dem »ET« angeschrieben war). Die Fahrmotoren waren mit der Masse des Zuges überfordert, und so wurde dieser Zug schon nach fünf Einsatzjahren auf das Abstellgleis geschoben. Zum 1. Juni 1970 wurden beide ET-25-Züge zur Baureihe 285 umgezeichnet.
Im Jahre 1973 erschienen mit großer Verzögerung die ersten beiden Einheiten eines neuen zweiteiligen Regionalzuges, der als Baureihe 280 projektiert war und einerseits zur Verdichtung des S-Bahn-Verkehrs, andererseits zur Einrichtung eines Städteschnellverkehrs zwischen den Bezirksstädten dienen sollte. Zwei weitere Viertelzüge wurdenb noch ausgeliefert, doch schon 1982 endeten die planmäßigen Einsätze der eher ungeliebten Fahrzeuge. Sie wurden darauifhin noch einige Jahre bei Elektrifzierungsarbeiten eingesetzt.
Gleichstromnetz (Stromschiene)
Das mit Gleichstrom betriebene Stromschienen-S-Bahn-Netz von Berlin (750 V) besaß während des Zweiten Weltkrieges bis zu 1097 Viertelzüge der (seit 1941 so bezeichneten) Baureihen ET 125, ET 165, ET 166, ET 167, ET 168 und ET 169 mitsamt der zugehörigen Bei- und Steuerwagen. Bis Anfang 1945 gingen lediglich 76 Viertelzüge durch Kriegseinwirkungen verloren. Das änderte sich, als Berlin im Frühjahr 1945 selbst zum Kampfgebiet wurde. Nach Kriegsende waren lediglich noch 232 Viertelzüge betriebsfähig. Rund 140 Viertelzüge wurden daraufhin noch 1946 an die Sowjetunion abgegeben, von denen lediglich 69 Züge im Jahre 1952 – teils in sehr bedauernswertem Zustand – zurückkehrten. Mit einen gewaltigen Kraftakt schaffte es die DR, umfangreiche Reparaturen durchzuführen und so nach und nach zu einem Betriebsbestand von rund 500 Viertelzügen zurückzukehren. Dabei konnten auch mehrere Wagen der Peenemünder Werkbahn umgebaut und für Berlin angepasst werden.
1959 erschien ein neuer S-Bahn-Zug Baureihe ET 170 auf der Leipziger Messe, bei dem es sich um einen zweiteiligen Viertelzug handelte, dessen Wagenkästen auf einem gemeinsamen Jakobsdrehgestell ruhten. Insgesamt vier dieser Viertelzüge wurden gebaut, die erst 1962 abgenommen wurden und in den Betriebsdienst gingen. Zahlreiche Schäden und Mängel, zum Beispiel an der Bremsanlage, sorgten immer wieder für lange Werkstattaufenthalte, so dass – vor allem aufgrund der neuen politischen Situation ab 1961 – ein Serienbau unterblieb.
1979 präsentierte LEW Hennigsdorf mit der Baureihe 270 einen neuen Versuch für einen neuen Berliner S-Bahn-Zug: Wieder wurden vier Muster-Viertelzüge gebaut, die gemäß den Vorgaben für standardisierte Triebfahrzeuge konstruiert worden waren. Man kehrte konzeptionell zu den frühen S-Bahn-Fahrzeugen zurück, da der Viertelzug aus einem Triebwagen mit zwei Triebdrehgestellen (Allachsantrieb) und einem Beiwagen bestand. Sie gingen ab 1980 in die Erprobung und liefen bis 1990. An ihnen wurden zahlreiche Komponenten getestet, die dann ab 1987 in den Serienbau der Reihe 270 einflossen. Von diesen Fahrzeugen wurden bis 1992 immerhin 168 Trieb- und 168 Beiwagen gebaut. Ab 1992 erhielten diese Fahrzeuge die neue Bezeichnung 485/885.
Gleichstrom (Oberleitung)
Auch die sächsische Schmalspurstrecke Klingenthal–Sachsenberg-Georgenthal wurde von der Deutschen Reichsbahn in der Sowjetisch Besetzten Zone (SBZ) bzw. der Deutschen Demokratischen Republik (DDR, ab Oktober 1949) weiterbetrieben. Die Meterspurbahn wurde mit 650 V Gleichstrom betrieben und besaß die beiden Triebwagen ET 197 21 und ET 197 22 mitsamt Beiwagen EB 197 sowie die beiden österreichischen Triebwagen ET 198 01 und ET 198 02. Die DR modernisierte den Wagenpark 1956 und 1958 durch neue Gotha-Straßenbahnwagen, ehe die Bahn 1964 stillgelegt wurde.
Durch die Übernahme zahlreicher Privatbahnen »in Volkes Hand« in den Jahren 1949 bis 1952 gelangten auch einige normalspurige elektrische Gleichstromtriebwagen in den Bestand der DR, die unter der Bezeichnung ET 188 (die Beiwagen als EB 188) zusammengefasst wurden. Dabei handelte es sich um die Fahrzeuge
- der Buckower Kleinbahn (800 V=),
- der Schleizer Kleinbahn (1200 V =)
- und der Oberweißbacher Bergbahn (500 V =).
Parallel zu den Verbrennungstriebwagen wurden auch diese Übernahmefahrzeuge in der 500er-Nummerngruppe eingereiht.
Text: © Malte Werning
Quellen und Literatur
- Borbe, Thomas / Glanert, Peter: Elektrische Triebwagen in Mitteldeutschland. Fürstenfeldbruck / Essen 2015.
- Glanert, Peter / Scherrans, Thomas / Borbe, Thomas / Lüderitz, Ralph: Wechselstrom-Zugbetrieb in Deutschland. Bd 3: Die Deutsche Reichsbahn, Teil 1 - 1947 bis 1960. München 2012.
- Glanert, Peter / Scherrans, Thomas / Borbe, Thomas / Lüderitz, Ralph: Wechselstrom-Zugbetrieb in Deutschland. Bd 3: Die Deutsche Reichsbahn, Teil 2 - 1960 bis 1993. München 2012.
- Walinowski, Mario: Züge der Berliner S-Bahn – Das "Blaue Wunder": Die Baureihe ET 170.0 der Deutschen Reichsbahn. Berlin 2005.